LR pixel COMPANIONS | Business of Content → Rezension No Sports Magazin

No Sports no Future

Keine Zeit? - Kurze Version lesen

Es ist schön, wenn Menschen aufrechten Herzens ein neues, anderes Magazin machen, hinter dem sie voll stehen. Auch weil es so selten ist, dass Medien mit einem gewissen Aufschlag ohne jede Anzeigenkundenranschmeiße tatsächlich erscheinen. Zuletzt haben das Lena Dunham und Jenny Konnor mit Lenny geschafft, einem Magazin, das zweimal wöchentlich als Newsletter kommt und kluge Frauen mit „Feminism, Style, Politics, Frienship & more“ versorgt. Am Freitag folgte das 11Freunde-Team aus Berlin mit einem Printtitel, der Geschichten aus dem Abseits des sportlichen Mainstreams erzählt. No Sports heißt das neue, 140 Seiten starke Blatt aus dem Hause Gruner + Jahr. Konsequenterweise müsste es im Turnbeutel kommen. Beim ersten Durchblättern wurde ich jedenfalls an meinen erinnert: TuS Finkenwerder stand da drauf, er war dunkelgrün mit Segelboot-Wappen.

Doch warum ging es mir so?

Hat doch auch No Sports alle Spielereien, die die Trendblätter der Republik hip machen sollen: viele, viele Rahmen und Striche, viele, viele Typenwechsel, in alle Richtungen gekippte Zeilen, knallige Streifen an Schwarzweißfotografie. Bild und Text scheinen nicht genug zu sein. Die Grafik ist mächtig. Trotzdem wirkt das Heft retro. Das kommt, weil oft alte Helden zu sehen sind: Coverboy Boris Becker, Muhammad Ali, Bernhard Langer, Kolumnist Ulli Wegner. Die Sportarten, die als Eckpfeiler der Blattausrichtung im Editorial herangezogen werden, sind allesamt im deutschen Vereinswesen beheimatet. Die Blattmacher sind eben Ü40-Männer, die immer schon Sport geguckt haben und den Protagonisten ihrer Jugend verbunden geblieben sind (Wer sonst käme auf die Idee, eine Story über Jürgen Hingsen zu machen?). Der Blick in den Rückspiegel ist alright aber warum muss er so dominieren?

Mich hat die No Sports-Titelstory über Boris Becker dazu gebracht. Tim Jürgens ist ein sehr guter Beobachter und ich habe viel gelernt über Becker, alles Dinge, die nicht in mein Bild von ihm passen. Wer weiß schon, dass der Tennis-Berserker seiner Passion zwei künstliche Hüftgelenke verdankt? Und dass er heute mit seiner Familie tatsächlich in Wimbledon wohnt, was Jürgens zauberhaft beschreibt:

„Wie ein Kind, das sich in sein Puppenhaus imaginiert, ist die Metapher vom Wohnzimmer für ihn Realität geworden.“

Auch meine Tocher Fanny hatte No Sports in der Hand. Sie liest gern Headlines laut und deutlich vor: „F-r-a-u-e-n b-r-a-u-c-h-e-n m-e-h-r S-t-r-u-k-t-u-r, d-e-u-t-l-i-c-h-e-r-e A-n-s-a-g-e-n, s-o-n-s-t …“ Jeder klischeegeschulte Mensch weiß, wie es jetzt weitergeht: „… g-i-b-t e-s Z-i-c-k-e-n-k-r-i-e-g!“

Schon klar.

Wenn denn mal Frauen zum Thema in No Sports gemacht werden, in diesem Fall die Hockeyspielerinnen Maartje Paumen und Julia Müller, wird die Story mit dem abgehangensten Zitat eröffnet, das sich aus der Ursuppe der Hanni-und-Nanni-Logik fischen lässt, mit der wir in Hingsen-Zeiten gequält wurden. Leistungssport ist, wie Jürgens an anderer Stelle richtig diagnostiziert, eben kein Examenstutorium. Da haben Jürgen-Drews-Weisheiten eine sehr hohe Halbwertszeit. Kein Grund dafür, sie als offensichtlich wichtigste Essenz aus einem 350-Zeilen-Interview zu filtern. Nun gut, kommt eben immer auf die Beschaffenheit des Filters an.

Wie irritierend die nostalgische Betrachtung der Welt ist, die von verblassten Bezugsgrößen nicht lassen kann, bringt die Weitspringerin Alexandra Wester auf S. 18 prima auf den Punkt. In einem Entweder/Oder-Interview fragt No Sports sie:

Muhammad Ali oder Heike Drechsler?

Alexandra Wester: Deren Kinder!!!

60 Sekunden Zusammenfassung

No Sports heißt das neue, 140 Seiten starke Blatt aus dem Hause Gruner + Jahr. Die Grafik ist zeitgemäß und mächtig, trotzdem wirkt das Heft retro. Das kommt, weil oft alte Helden zu sehen sind und die Sportarten, die als Eckpfeiler der Blattausrichtung im Editorial herangezogen werden, allesamt im deutschen Vereinswesen beheimatet sind. Die Blattmacher sind  Ü40-Männer, die immer schon Sport geguckt haben und den Protagonisten ihrer Jugend verbunden geblieben sind. Highlight ist eine Geschichte über Boris Becker, einfühlsam und klug geschrieben von Tim Jürgens. Trotzdem lautet das Lektüre-Fazit unserer Autorin: Die nostalgische Betrachtung der Welt, die von verblassten Bezugsgrößen nicht lassen kann, wirkt heute einfach nur noch irritierend.