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Neue Sportmagazine für Schöngeister

Vor kurzem war ich mit Freunden für ein Wochenende in London und hatte mir selbst drei Aufgaben gegeben: 1. Das Gebäude in der Savile Row finden, wo die Beatles (auf dem Dach) im Januar 1969 ihr letztes Konzert spielten. 2. Den Centre Court von Wimbledon besuchen. 3. Im formidablen Zeitschriftenladen „Shreeji Newsagents“ (ein Steinwurf von der Baker Street entfernt) nach neuen Magazinen stöbern. Alle drei Aufgaben glückten, riefen aber gänzlich unterschiedliche Reaktionen in mir hervor. An der Savile Row ist jetzt an historischer Stätte ein zweistöckiger „Abercrombie Kids“-Store untergebracht, wo man sein Geld unter anderem für recht lieblos designte Beatles-Shirts zu Mondpreisen verschwenden kann. Auf dem Centre Court staunte ich über den perfekt getrimmten Rasen und sah vor dem geistigen Auge, wie Boris Becker noch einmal zum Hechtsprung ansetzt. Bei Shreeji Newsagents blätterte ich entzückt in dutzenden neuer Publikationen, entschied mich für die fünf schönsten und verließ beseelt das kleine Geschäft. Hier eine Review zu „Bikevibe“, „Runaway“, „Rucksack, „Athleta“ und „Racquet“.

BIKEVIBE

Bikevibe Radmagazin

Mit 200 Seiten Umfang hat man hier eher ein Buch, als ein Magazin in der Hand, auch das spartanisch designte Cover erinnert eher an neu aufgelegte Hermann-Hesse-Klassiker aus dem Suhrkamp-Verlag. Doch einmal aufgeschlagen, zieht die Redaktion aus Oslo ihre Leser und Leserinnen sofort in den Bann – oder besser gesagt, in seinen titelgebenden Vibe. In der Konzeptausgabe geht es ausschließlich um Fahrradfahren in New York: Die Kapitel heißen „People and Places“, „Structure and Environment“, „Affairs and Structures“ oder „The Extra Mile“ und erzählen von verschiedenen Protagonisten. Etwa von Thomas Callahan, der in Brooklyn eine Rad-Manufaktur betreibt und noch nie eine Schule von innen gesehen hat.

Fahrradmagazin Bikevibe

Kurzweilig und unterhaltsam ist auch die Reportage über die Mitglieder von NYC Bike Polo, die sich jeden Sonntag zum Spielen treffen oder die Porträtreihe über New Yorks coolste Fahrradkuriere. „Bikevibe“ lässt jedes Hipsterherz höher schlagen, glänzt mit Fotostrecken aus dem herbstlichen Williamsburg und punktet auch mit Nutzwertgeschichten wie „Citibike – All you need to know about the New York bike hire scheme“ über die Leihräder der Stadt. Bei „Bikevibe“ trifft ästhetische Bildsprache auf starke Texte – ein Muss auf jedem Hipster-Cofeetable.

www.bikevibe.no (In Berlin bei Do you read me, www.doyoureadme.de und Vitra und Artek www.bikiniberlin.de erhältlich)

RUNAWAY

Wer in letzter Zeit mal in London war, ist vielleicht aufgefallen, dass die Läufer dort nicht nur mit einem wahnsinnigen Tempo, sondern auch oft mit einem umgeschnallten Rucksack unterwegs sind. Viele von ihnen sind auf dem Weg zur oder von der Arbeit – und genau für diese Zielgruppe ist auch das ebenfalls in London beheimatete Magazin „Runaway“ gemacht. Während nämlich Läufer hierzulande immer noch primär in Parks oder Wäldern verortet werden, gelingt dem Magazin so etwas wie eine Hybridisierung: das Freiheitsgefühl des Laufens und die virile Stimmung des urbanen Londons verschmelzen hier zu einem gemeinsamen Erlebnis.

Run and feel, statt Look and feel.

 Zeitschrift Laufen Runaway

Protagonisten werden auf ihren Laufstrecken fotografiert, etwa vom Granary Square bis nach Brixton, wo sie davon berichten, wie sich „the smell from food from all over the world“ von Meile zu Meile intensiviert, je südlicher man kommt. Etwas unbeholfen wirkt dagegen der „Eats + Drinks“-Artikel in der Heftmitte mit Restaurant-Tipps, die auch in jedem Stadtmagazin oder Foodblog auftauchen könnten. Zu den Highlights der Ausgabe gehören dafür das Interview mit Cory Wharton-Malcom, dem Gründer der „Track Mafia“, einem Lauf-Club, deren Mitglieder gerne mal in 48 Stunden von Los Angeles nach Las Vegas laufen. Noch krasser: das Porträt über Laura Maisey, die von Rom nach London gelaufen ist. 68 Tage am Stück.

Magazin Laufen Joggen Runaway

www.runawaymag.com / In Hamburg bei Coffee Table Mags (www.coffeetablemags.myshopify.com) und in Berlin bei Runbase Berlin, (www.runbase.berlin) erhältlich.

RACQUET

Bereits seit 2016 im Game, aber deshalb nicht minder erwähnenswert, ist dieses Tennismagazin aus New York. Vor allem Freunde des Filzsports mit latentem Hang zur Nostalgie werden hier freudig durch Ausgabe No. 5 blättern, die zwar im handlichen Pocketformat erscheint, aber trotzdem mit umwerfender Optik und längeren Lesestücken glänzt. In einer älteren Ausgabe punktete etwa der Gastbeitrag der deutschen Tennisspielerin Andrea Petkovic, die über die Notwendigkeit von Rivalitäten philosophierte und das ewige Duell zwischen Federer/Nadal mit dem Wettstreit der Künstler Willem de Kooning und Jackson Pollock verglich, die sich gegenseitig zu Höchstleistungen anstachelten.

Raquet Magazin Tennis Artikel

In dieser Ausgabe geht der Blick zurück auf den genialen, aber leider langweiligen Pete Sampras, die Anfänge des Profitennis in den 60er-Jahren und die erste Tennishalle Dänemarks, die 1912 eingeweiht wurde. Da Special-Interest-Magazine auch stets Kuriositätenkabinette sind, ist das Porträt über Michael Eden mehr als willkommen: Der Arzt aus Nicholasville, Kentucky, hortet in seinem Keller eine private Sammlung von Tennis-Memorabilia, die mehrere tausend Gegenstände (Schläger, Balldosen und sogar einen Flipper-Automaten) vereint.

Artikel Raquet Sport Magazin

www.racquetmag.com

RUCKSACK

Die erste Ausgabe des „Rucksack“-Magazins („The Winter Issue“) wirkt auf den ersten Blick wie ein Fotoband der German Roamers. Sie kennen die German Roamers nicht? Ich bis heute Morgen auch nicht. Das junge deutsche Fotografenkollektiv bereist deutsche Landschaften von Berchtesgarden bis Eckernförde und zeigt das Land von seiner bildgewaltigen Seite, stets in quadratischer Instagram-Optik gebannt und mit entsprechenden Filtern drapiert, die nach Sehnsucht, Romatik und Caspar David Friedrich lechzen.

Sportmagazin Rucksack

Die gleiche Bildsprache findet man auch hier vor, wobei die Londoner Redaktion ihre Fotografen in die wunderbaren Winterwelten von Island, Lappland und der Arktis schickte. Nur konsequent, neben vielen Bildern von schneebedeckten Landschaften und Gebirgsketten auch Weiß als Farbe für Texträume zu wählen. So liest man etwa eindringliche Liebeserklärungen an den Winter, ein (leider viel zu kurzes) Porträt über Surfer in der Arktis oder eine Hommage mit dem etwas kitschigen Titel „The Beauty of Winter“. Ein Magazin für alle, die den Schnee vermissen.

www.rucksackmag.com

ATHLETA

Zu guter Letzt noch ein 200 Seiten schweres Pfund: Athleta. Klasse Name, interessantes Konzept. Ähnlich wie bei den Machern des deutschen „No Sports“-Magazins (aus der „11 Freunde“-Redaktion) wird auch hier über den berühmten Tellerrand der tagesaktuellen Berichterstattung aus der Welt der Leibesübungen geschaut. „Imagery of Sporting Culture“ heißt der Claim der Redaktion im italienischen Verona, dementsprechend geht es primär um anspruchsvolle Ästhetik und Foto-Reportagen rund um den Globus, etwa über das mythenbehangene Baseballfeld von Cardine Field in Rhode Island (wo John F. Kennedy und Jackie Onassis heirateten), das griechische Flüchtlingsfußballteam Hope Refugees FC oder den italienischen Trikotsammler William Sembenini, der knapp 600 verschiedene Jerseys seiner Lieblingsmannschaft Hellas Verona besitzt. Der Rahmen kennt hier keine Grenzen, sogar ausführliche Geschichten über Billard und Stierkampf gibt es zu lesen.

Aesthetik Magazin Sport

Das kann man goutieren oder schlicht inkonsequent finden. Denn man ahnt es bereits: Weniger wäre vielleicht manchmal mehr gewesen, die Lesereise durch die Welt des Sports zieht auf Dauer nur diejenigen in den Bann, die auch bei der Übertragung des Bogenschießen-Finales bei Olympia feuchte Handflächen bekommen. Interessante Randnotiz: Den gesamten englischsprachigen Heftinhalt, gibt es im letzten Abschnitt noch einmal auf einfarbigem gedruckten Papier zu lesen – auf Italienisch.

www.athletamag.de /In Berlin bei Do you read me? (www.doyoureadme.de), Sodabooks (www.sodabooks.com), Rosa Wolf (www.rosa-wolf.com) und in München ebenfalls bei Sodabooks erhältlich.