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Ein Siegel für Gutes Content Marketing – macht das Sinn?

Keine Zeit? - Kurze Version lesen

Der Bundesverband digitale Wirtschaft (BVDW) hat einen Code of Conduct für Content Marketing Dienstleister entwickelt. Das Content Marketing Forum (CMF) will den ausfeilen und seinen Mitgliedern zum Unterzeichnen vorlegen. Macht das Sinn und: Kann man die Qualität von Inhalten überhaupt zertifizieren?

„Wir sind das Netz“ lautet der Claim, mit dem der Bundesverband digitale Wirtschaft (BVDW) unterwegs ist.

CCC-Congress: Biotop für Feinde der das Netz okkupierenden Wirtschaft

Da dürfte es reichlich Revierstreitigkeiten geben, der Chaos Computer Club ist ganz sicher nicht einverstanden aber das sind ja auch die natürlichen Feinde. Der Verband listet zahllose (bei Nr. 19 hätte ich weiter scrollen müssen aber dazu hatte ich keine Lust) Gremien, meine Lieblinge sind die „Fokusgruppe Search“ und das „Ressort Forum Digitale Transformation und IoT“, weil ich mir darunter am wenigsten vorstellen kann). Man kümmert sich um die Lobbyarbeit für die Mitglieder, richtet Events und Awards aus und entwickelt Zertifikate wie den „Code of Conduct Content Marketing“. Ist natürlich spannend, nach welchen Kriterien die Kollegen unsere Arbeit zu zertifizieren gedenken.

What’s good? Und vor allem, an welchen Kriterien wird das Gute gemessen

Wer inhaltlich einsteigen will in den Verhaltenscodex, muss sich erst einmal durch fünf kleingedruckte Seiten und 16 Paragraphen prügeln, die die Teilnahmebedingungen  zur Selbstverpflichtung festlegen. Die Unterzeichnung kostet dann auch noch € 449 für Nichtmitglieder, nun ja, man hatte ja auch Arbeit.

Erster Unterpunkt, erster Widerspruch

Die Definition von Content Marketing im vorgelegten CoC nehmen wir hier mal nicht auseinander, denn dann kommen wir nicht weiter. Wir stellen nur folgende Zeile scharf:

Die Trennung von Werbemaßnahmen im klassischen Sinne und redaktionellen Inhalten (Werbeformen des Content Marketing) muss jederzeit gegeben sein.“

Okay. Als Anhaltspunkt für Werbeformen und Neue Formate wird auf das entsprechende Whitepaper  des Verbandes verwiesen. In dem findet sich dieser Passus:

„Native Advertising ist eine Art von Paid Media, in welcher sich die Anzeige in Form und Funktion auf natürliche Weise der User Experience anpasst, in welcher sie platziert wird. Diese bezahlten Anzeigen werden dem übrigen Inhalt der Seite so angepasst, dem Design angeglichen und dem üblichen Nutzungsverhalten auf der Plattform angepasst, dass der User einfach das Gefühl hat, dass sie dorthin gehören.“

Im Klartext: Die Werbung, das Content Marketing, schlüpft unter den redaktionellen Rock des Trägermediums. Das „Bild Brand Studio“ benennt diese Strategie in ihrer Marketing-Broschüre ganz ohne Umschweife: Die Unternehmenskunden bekommen den Bild-Look, die Bild-Sprache und Bild-Headlines. Irgendwo steht ein kleines „Native Advertising“ oder „Sponsored Post“ über dem Text, der normale User wird’s nicht merken.

Transparenz, wohl keine Selbstverständlichkeit für Mitglieder des BVDW

Im zweiten Punkt geht’s um Transparenz in der Zusammenarbeit: Aufklärung über das Leistungsspektrum einer Agentur, klare Kostenaufstellungen ohne versteckte Kosten. Alles Dinge, die, meinem Verständnis nach, Voraussetzung dafür sein sollten, dass man überhaupt Mitglied im BVDW werden kann, denn alles andere wäre Scharlatanerie.  Am Ende wird wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass ein Vertrag abgeschlossen wird. Jeder, der die Branche kennt, weiß jedoch, dass für viele Projekte gar keine Verträge mehr abgeschlossen werden, denn die Wirtschaft scheut im schnelllebigen Digitalgeschäft derartige Verbindlichkeiten.

Für den Punkt 3, die seriöse Arbeitsweise, gilt ähnliches wie schon oben erwähnt, alles Selbstgänger und im übrigen wird auf bestehende gesetzliche Regelungen verwiesen. Also auch irgendwie unnötig der Passus.

Seriösitat ist das eine, Leidenschaft das andere, das man nicht messen oder gar zertifizieren kann

Bei Punkt 4 wird’s spannend, hier geht es um „Qualität und Wahrheitsgehalt“. Festgelegt wird u. a., dass der Content dem User einen Mehrwert zu bieten habe. Wer, außer dem User selbst, will denn beurteilen, ob das so ist?

Und dann das:

Der Content wird nicht zur Weiterleitung zu Werbeseiten oder Schadsoftware erstellt/genutzt.“

Sie ist es, die entscheidet

Warum soll denn Netflix bitte nicht am Ende eines bezahlten New York Times-Artikels über Haftbedingungen von Frauen in US-amerikanischen Gefängnissen auf die passende Serie „Orange ist the New Black“ hinweisen dürfen? Um die Eigenproduktion zu featuren, wurde der ganze Zirkus doch schließlich veranstaltet.

Das zu verschleiern, wäre irritierend und unanständig. Content Marketing nutzt im besten Fall gute, journalistische Inhalte, um zu verkaufen. Darum geht es am Ende.

Es wird soweit wie möglich vermieden, dass der Content für den Nutzer einen Störfaktor darstellt.“

Niedriger kann man eine Latte wohl nicht hängen, oder?

An einem Impressum / oder Kontaktangaben erkennt der Nutzer den Urheber der Inhalte.“

Auch das ist in dieser Allgemeinheit nicht zu unterzeichnen. Wenn Native Advertising als Maßnahme des Content Marketing akzeptiert wird, macht solch eine Verpflichtung keinen Sinn. Kein von einem Unternehmen bezahlter Post wird mit Impressum oder Ansprechpartner versehen werden – warum auch? Sinn dieser Art des Marketings ist ja gerade die native Integration. Der User soll glauben, der Artikel gehöre zum redaktionellen Teil des Trägermediums.

Es folgt Punkt 5, „Messbarkeit“. Hier geht es um den Standard, sich an vereinbarte KPIs zu halten – also ebenfalls nichts, das extra zertifiziert werden muss, wenn man ernsthaft im Business überleben will.

Punkt 6 betrifft die Distribution und hinkt der angewandten Praxis meilenweit hinterher. Der große Erfolg von Marken wie OTTOs „About You“ basiert auf der feinziselierten, datenbasierten, individuellen Ansprache der Kunden. Nicht nur die Startseite wird den Vorkäufen und Interessen des jeweiligen Kunden angepasst, sondern auch alle Contentangebote: Gemäß seiner persönlichen Social Media-Gepflogenheiten werden dem User passende Themen und Identifikationsfiguren, bei About You oft die passenden Influencer, zugeteilt. Er fühlt sich Zuhause. Und selbstverständlich können diese Daten jederzeit jedem einzelnen Kunden wieder zugewiesen werden. Der Name ist hier Programm.

Fazit

Nein, es macht keinen Sinn diesen Code of Conduct zu unterzeichnen, weil er a.) an wichtigen Punkten nur selbstverständliche Standards enthält oder auf bestehendes Recht verweist, er b.) keine eindeutigen Qualitätskriterien für die publizierten Inhalte benennt, c.) Widersprüche hinsichtlich der Kenntlichmachung enthält und d.) am Punkt Distribution nicht mehr zeitgemäß ist.

60 Sekunden Zusammenfassung

Eine Analyse des im Juni 2018 vom Bundesverband digitale Wirtschaft (BVDW) publizierten „Code of Conduct Content Marketing“. Der Text prüft, ob es für Content Marketing-Dienstleister Sinn macht, den Verhaltenskodex zu unterzeichnen und, wenn kein BVDW-Mitglied, dafür € 449 anzulegen. Die Antwort ist: nein.