LR pixel Dead Letters Walking - Business of Content

Dead Letters Walking

Warum gleich mehrere Bezahl-Newsletter-Services in den Kampf um die Inbox eingestiegen sind

Sie heißen „Der siebte Tag“, „Mediasteak“, „Tillacks Recherchebrief“, „Pomélo“ oder „Post vom Einheinser“ und wollen einmal das werden, was Gabor Steingart mit seinem Morning Briefing lange schon groß gezogen hat: ein Newsletter mit tief ergebener und vor allem umfangreicher Gefolgschaft. Newsletter? Sind das nicht Relikte aus einer Zeit, in der AltaVista und HotBot die Suchmaschinen der Wahl waren? Warum werden die längst tot geglaubten Ur-Formate der digitalen Kommunikation wieder von eigenen Mediendiensten angeboten? Zu finden sind die oben genannten und rund 35 weitere Nachrichten-Briefe als Abo-Offerten beim deutschen Publishing-Anbieter Steady, der im März seinen eigenen Newsletterservice startete.

Der Content bei Substack landet normalerweise direkt im Postfach – auf der Website lassen sich die vielfältigen Angebote aber auch durchsuchen.

Steady folgt damit dem Beispiel von Substack in den USA und dem niederländischen Anbieter Revue, der im Januar von Twitter gekauft wurde. Die Newsletter-Pools funktionieren wie Magazine, in denen es nur eine journalistische Darstellungsform gibt: die Kolumne. Die Autor*innen, oft renommierte Journalist*innen und reichweitenstarke Influencer*innen, werden über das Abo direkt von ihren Leser*innen bezahlt und schreiben so, wie prima Kolumnist*innen es eben tun: originell, versiert und sehr persönlich. „The inbox is becoming a more attractive medium than the news feed.“, schrieb die New York Times einmal über das, was Substack da 2017 angestoßen hatte. Und das ist vor allem: eine Renaissance der starken Autor*innenstimme.

Content Marketing – abgerutscht wie eine erschöpfte Pole-Dance-Akteurin

Salopp gesagt war der enorme Erfolg der „führenden Abo-Plattform für unabhängige Autoren von Newslettern“ (Venture-Capital-Geber Andreessen Horowitz über Substack) auch eine Reaktion darauf, dass die User*innen sich platt gelesen hatten am seelenlosen SEO-Geschreibsel, das im Netz prosperiert und uns allen einfach nur Zeit raubt. Schlimmer noch: Content-Marketing-Strategen werden scheinbar nicht müde, sich im digitalen Raum wie erschöpfte Pole-Dance-Akteurinnen an einer Stange hochzuhangeln, an der sich alle versuchen und die dadurch immer rutschiger wird. Die Spirale im SEO-Wettlauf führt unweigerlich nach unten, eine Lose-Lose-Lose-Situation für User*innen, Content Marketeers und Unternehmen. Kein Wunder also, dass das Publikum nach Inhalten giert, mit denen am Ende nicht noch zusätzlich Versicherungen oder Bratpfannen verkauf werden sollen. Inhalte, die Haltung auch durch einen eigenen Stil transportieren, der nicht von Schreibrobotern kopiert werden kann.

Auf der Zeit Website werden 14 aktive Podcast-Formate genannt – zu viele, als das nur eine Bühne reichen würde. (c) ZEIT ONLINE

Podcasts zum Lesen

Diese eigene, ja: authentische Rangehensweise hat schon dem Format Podcast seinen Erfolg beschert. Da, wo das Regional-Radio mit den Kanälen 1, 2 und 3 in den letzten Zuckungen liegt – wer will tatsächlich noch Menschen hören, die Musiktitel ankündigen und zwischendurch Verkehrsmeldungen ablesen – sind Menschen eingesprungen, die im besten Sinne Hörfunk machen und auch Bühnen damit füllen. Wenn Sabine Rückert und Andreas Sentker vom Podcast „Zeit Verbrechen“, Jan Böhmermann und Olli Schulz mit „Fest & Flauschig“ oder Tommi Schmitt und Felix Lobrecht als „Gemischtes Hack“ auf Tour über deutsche Bühnen sind, sind Tickets schwer zu bekommen. Die altehrwürdige Zeit bestritt am 20. Juni sogar ein ganztägiges Podcastfestival mit diversen hauseigenen Podcast-Protagonisten.

Bisher ist es noch keinem Unternehmen gelungen, einen Podcast aufzulegen, der auch nur ansatzweise an diese Qualität und Beliebtheit heranreicht. Das mag auch daran liegen, dass Schwerkaräter wie Böhmermann oder Lobrecht sich mit Werbeverträgen extrem schwertun. Das schadet einfach der Reputation, auf der der Erfolg derartiger Freigeister und Querschläger basiert. Auch wenn die Abo-Zahlen auf Steady noch recht kümmerlich sind, sollte der Erfolg von Substack auch deutschen Content-Marketing-Agenturen zu denken geben. Denn Newsletter können im medialen Einheitsbrei tatsächlich jene individuellen Akzente setzen, die erfolgreiche Kommunikation heute braucht.

Und was folgt daraus fürs Content Marketing?

Macht es noch Sinn, Content-Plattformen für Unternehmen ins Netz zu stellen, in der Hoffnung, dass die Leser*innen diese Brücke hin zum Shop schon gehen werden? Schwierig. Denn, seien wir ehrlich: Auch wenn der Content noch so brillant ist, wenn nicht ein mittleres fünfstelliges Mediabudget im Jahr in die Hand genommen wird, um die Inhalte zu bewerben, bleiben sie auch bei noch so akribischer SEO-Arbeit für immer unsichtbar. Das Budget, das also eingesetzt werden muss, um Sichtbarkeit der Inhalte zu kaufen, ist vielleicht besser in direkte Produktwerbung auf Instagram et al. investiert, wo die Zielgruppe punktgenau wie nie angesteuert werden kann. Oder Content wird tatsächlich enger mit dem Produkt verknüpft und macht den Punkt direkt auf der Shopseite, denn durch die seelenlosen Produktwüsten der großen Händler mag sich heute auch niemand mehr scrollen.

Gewusst wie: OTTO hat mit AboutYou die individuelle Ansprache überzeugend umgesetzt.

Wie so oft hat der Otto-Ableger About You gleich wieder mehrere Schritte in die richtige Richtung getan: Die Shopseite sieht aus wie ein Magazin und nachdem das Geschlecht gewählt wurde, werden die Kund*innen in diverse Storys geschickt und erst dann in die Produktwelten. Nach dem Einkauf dann einen auf den persönlichen Geschmack angepassten Content-Newsletter angeboten zu bekommen, kann dann wieder die Kirsche auf der Torte sein.