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BIG DATA und die digitale Enthüllung

Keine Zeit? - Kurze Version lesen
Jeanette Hofmann
Direktorin des Humboldt Institutes für Internet und Gesellschaft
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Prof. Dr. Jeanette Hofmann ist Direktorin des Humboldt Institutes für Internet und Gesellschaft in Berlin. Ihr Forschungsbereich umfasst Global Governance, die Regulierung des Internets und den Wandel des Urheberrechts.

Big Data macht uns digital transparent. Trotzdem kann mein Kühlschrank immer noch nicht die ­passenden Lebensmittel für mich ordern. Ganz schön enttäuschend, oder?

Jeanette Hofmann: Jede Technologie poppt zunächst als Szenario auf, um griffiger zu sein. In den 70ern hatten wir das Atomkraftwerk im eigenen Garten oder später das papierlose Büro. Oft werden solche Zukunftsbilder nicht Realität, weil sie nicht von den Menschen selbst entwickelt werden, sondern von den Marketingabteilungen, die solche Technologien verkaufen.

Der Traum vom selbstfahrenden Auto scheint aber wahr zu werden …

Hofmann: Der Kühlschrank, der sich selbst befüllt, ist schwerer zu realisieren, weil wir nicht standardisiert einkaufen. Und selbst wenn ich heute behaupte, eine Sache nicht zu mögen, esse ich sie am nächsten Tag vielleicht trotzdem. Autofahren ist stark regelbezogen und lässt sich daher automatisieren.

Sind wir also gar nicht so berechenbar, wie Datenanalysten meinen?

Hofmann: Datenanalysten gehen nicht so sehr von Individuen aus, sondern von Stereotypen. Sie arbeiten mit Wahrscheinlichkeiten, nicht mit unseren Besonderheiten. Einerseits nehmen Algorithmen uns Arbeit ab, andererseits schaffen sie neue Probleme. Beim Scoring von Banken entstehen beispielsweise große Diskriminierungspotenziale.

Das heißt konkret?

Hofmann: Wenn jemandem ein Kredit verweigert wird, nur weil er in einer Straße wohnt, in der allgemein viele nicht kreditwürdige Menschen wohnen. Hier werden Indikatoren gewählt, die zu grob und deshalb in ihrer Wirkung diskriminierend sind.

Welche Wahl habe ich, wenn ich da nicht mitspielen möchte?

Hofmann: Die Digitalisierung hat einen infrastrukturellen Charakter bekommen. Wenn man individuell ausscheren möchte und soziale Netzwerke nicht nutzt, ist der Preis sehr hoch, weil man sich damit sozial ausschliesst. Das Dilemma, dass wir unsere Daten als Währung einsetzen, können wir schwer individuell lösen. Uns ist es zwar unangenehm, dass wir so viel über uns persönlich preisgeben, doch je öfter wir es tun, desto weniger nehmen wir es bewusst wahr. Dieser Gewöhnungsprozess wird oft irreführend als ein Desinteresse an Privatsphäre interpretiert.

Wo ist denn dieses Interesse noch spürbar?

Hofmann: Jugendliche wollen auf Facebook nicht mit ihren Eltern befreundet sein, sie kleben die Kameras ihrer Laptops zu und unterteilen ihre WhatsApp-Kontakte in einzelne Gruppen. Wir gewöhnen uns nur daran, dass wir unsere Privatsphäre aufgeben müssen, um bestimmte Dienste zu nutzen. Gelöst werden kann dieses Dilemma nur durch kollektive Regelungen.

Aber wie könnten die aussehen?

Hofmann: Der Datenschutz muss das Prinzip der informierten Einwilligung überdenken. Bisher müssen wir den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Anbieter zustimmen. Diese Bedingungen sind oft zu lang und auch unverständlich. Und selbst wenn wir sie verstehen, willigen wir oft ein, obwohl sie uns nicht gefallen. Die Konkurrenz zwischen Privatsphäre und digitalem Konsum ist auf Dauer keine gute Lösung. Aber natürlich können Geschäftsbedingungen geändert werden.

Wie kann das funktionieren?

Hofmann: Wenn zum Beispiel eine Taschenlampen-App als Gegenleistung all unsere Standortdaten und Kontaktlisten abfragt, ist das unverhältnismäßig. In diesem Fall kann der Gesetzgeber sagen: Diese Daten dürfen nicht abgefragt werden, weil es keinen sachlichen Grund dafür gibt. Wir wissen ja inzwischen, dass viele Apps nur entwickelt werden, um an die Daten der Nutzer zu kommen.

Auch die App-Stores haben allgemeine Geschäftsbedingungen. Das sind Ebenen, die schwerer zu regulieren sind.

Hofmann: Hier kann der Gesetzgeber Grenzen setzen. Denkbar ist auch, dass sich App-Stores und App-Entwickler selbst faire Regeln in Form von Selbstverpflichtungen auferlegen. Dafür sollten wir als Nutzer unsere Wünsche äußern und diese an Daten- und Verbraucherschützer und an unsere Vertreter im Parlament herantragen. Ich empfinde es als keine nachhaltige Regelung, dass das digitale Leben der nächsten Generation faktisch von Beginn an mitgeloggt wird und die privaten Nischen immer kleiner werden.

Trotzdem ist das Bedürfnis sehr stark, durch die neuen Technologien unser Leben bequemer zu machen.

Hofmann: Ja, die Digitalisierung hat große Wohlfahrtseffekte, und ich gehöre nicht zu denen, die das verteufeln wollen. Der Preis, den wir dafür zahlen, den sollten wir aber neu aushandeln.

Im Netz wird uns immer wieder das empfohlen, was wir ohnehin schon mögen. Hält uns das nicht in einer Art Echoraum?

Hofmann: Studien haben diese Theorie von der „Echo Chamber“ nicht bestätigt. Die User begnügen sich nicht mit dem, was ihnen angeboten wird. Sie sind nicht so stereotyp, wie die Algorithmen meinen.

Vielleicht sind die Algorithmen nicht smart ­genug? Wenn ich eine Kamera gekauft habe, werden mir weiterhin Kameras angezeigt.

Hofmann: Das liegt natürlich auch daran, dass Webtracking-Tools keine Kaufabschlüsse erfassen önnen. Das würden wir ja auch nicht ernsthaft wollen.

Aber wenn es beispielsweise um Musik ­geht …

Hofmann:  … werden uns auch Vorschläge gemacht, die neu für uns sind. Unser Verhalten ist aber immer auch überraschend, und man missversteht Algorithmen, wenn man von ihnen erwartet, dass sie das nachvollziehen können.

Wo kommen denn Algorithmen zukünftig zum Einsatz?

Hofmann: Big Data wird als Ressource für Big Nudging verwendet. Dieses Konzept basiert darauf, das irrationale Verhalten der Menschen durch Anreize zu verändern. Beispielsweise darüber, wie Waren im Supermarkt angeordnet werden. Daten über menschliche Verhaltenszusammenhänge werden ausgewertet und für Nudging-Projekte verwendet. Und an dieser Stelle wird es ein bisschen schräg: Leute, die mehr über uns wissen als wir selbst, nutzen dieses Wissen, um unser Verhalten zu manipulieren.

Und die größten Datensammler sind ja immer noch Konzerne, die verkaufen wollen. Oder nicht?

Hofmann: Es ist wohl so, dass Facebook derzeit eine größere Gesichtserkennungsdatenbank hat als die Nachrichtendienste. Aber wenn Nachrichtendienste an diesen Informationen ein Interesse haben, dann werden sie sich den Zugang dazu verschaffen. Insofern ist die Unterscheidung zwischen privater und staatlicher Datensammlung heute nicht mehr leicht zu treffen. Ein Merkmal unserer Zeit: Diese Grenzen verschwimmen.

Google wird als technologisch enteilter Netzmonopolist weltweit kritisiert. Trotzdem nutzt fast niemand alternative Suchmaschinen. Wie kommt’s?

Hofmann: Das ist eine Paradoxie, mit der wir es vor allem in Deutschland zu tun haben. Nirgendwo wird Google stärker kritisiert als hier, gleichzeitig ist der Marktanteil von Google in Deutschland mit über 90 Prozent besonders hoch. Wie das kommt? Mit der Anzahl der Nutzer und Suchanfragen steigt die Qualität der Ergebnisse.

Das Recht auf informationelle Selbstbe­stimmung ist also ein überholtes Konzept, weil es in der Zukunft ohnehin nicht mehr durchsetzbar ist?

Hofmann: Kontrolle über Daten ist ein schwieriges Thema, weil wir Daten meist in Kooperation mit anderen produzieren: Die E-Mail, die Car-to-Car-Kommunikation  immer sind mehrere Menschen oder Objekte beteiligt. Aber die Möglichkeit zur Anonymität sollten wir uns erhalten. Die Phase, in der wir uns jetzt mit der Digitalisierung befinden, wird oft mit der Frühphase des Kapitalismus verglichen. Damals hätte sich niemand vorstellen können, dass das Machtgefälle zwischen Fabrikanten und Proletariat jemals verändert werden könnte. Trotzdem haben wir den Industrialisierungsprozess gezähmt. Und ich wüsste nicht, warum wir das nicht langfristig mit der Datenwirtschaft auch hinkriegen sollten.

Und was passiert auf dem Weg dorthin?

Hofmann: Im Moment wirkt es so, als befänden wir uns in einer beständigen Dynamik. Was mich als Forscherin an der Digitalisierung fasziniert: dass wir fast jeden Monat Entdeckungen machen, die Selbstverständlichkeiten infrage stellen.

Haben Sie ein Beispiel?

Hofmann: Die Sharing Economy. Plötzlich ist nicht mehr klar, was ein Taxi oder ein Hotelzimmer ist. Wir beginnen uns zu fragen, ob wir die ganzen Regularien, die wir im Transportbereich haben, überhaupt noch brauchen. Aber ich fühle mich nur wohl, wenn sich an dieser Diskussion Leute beteiligen, die sagen: „Es ist schon nicht schlecht, dass wir Regeln haben, die besagen: Ein Hotel braucht Rauchmelder und Feuerlöscher – und zahlt Steuern.“

Brauchen wir auch Regeln, die verhindern, dass wir komplett ins Virtuelle abtauchen?

Hofmann: Die Unterscheidung zwischen analog und digital wird sich nach und nach verlieren. Heute würde ja auch niemand mehr sagen: Ich benutze jetzt mal Elektrizität. Wir benutzen den Föhn, den Kühlschrank, schalten den Herd an. Die Anwendungen sind entscheidend. Heute gibt es in der Kleidung digitale Schnittstellen, die Welten gehen ineinander über. Auch deshalb werden sich Menschen nicht mehr individuell gegen die Digitalisierung entscheiden können.

Werden wir dieser neuen, schönen Welt denn auch gewachsen sein?

Hofmann: Kompetenzen verschieben sich einfach. Durch Videospiele werden heute neue Fähigkeiten ausgebildet, andere fallen weg. Der Bauzeichner zeichnet nicht mehr von Hand, sondern benutzt eine Software. In England wird keine Schreibschrift mehr gelehrt. Das kann man mit einem weinenden und einem lachenden Auge sehen.

Das Interview ist vorab in „TURN ON“ erschienen, dem Kundenmagazin von Saturn.

60 Sekunden Zusammenfassung

Prof. Dr. Jeanette Hofmann, erforscht das Internet und seine Regulierung. Im Interview erklärt sie, dass Algorithmen uns einerseits Arbeit abnehmen, andererseits neue Probleme schaffen. Und: Das Dilemma, dass wir unsere Daten als Währung einsetzen, können wir schwer individuell lösen, hier ist, so Hofmann, der Gesetzgeber gefragt. Denkbar sei auch, dass sich App-Stores und App-Entwickler selbst faire Regeln in Form von Selbstverpflichtungen auferlegen. Dafür sollten wir als Nutzer unsere Wünsche äußern und diese an Daten- und Verbraucherschützer und an unsere Vertreter im Parlament herantragen. Hofmann prognostiziert, dass sich die Unterscheidung zwischen analog und digital nach und nach verlieren wird. Auch deshalb werden sich Menschen nicht mehr individuell gegen die Digitalisierung entscheiden können. Fest steht für Hofmann, dass sich Kompetenzen verschieben. Durch Videospiele werden heute neue Fähigkeiten ausgebildet, andere fallen weg.